Marcianus
Kaiser des Oströmischen Reiches (Reg. 450-457)
Marcianus stammte aus einfachen Verhältnissen wahrscheinlich aus Illyrien. Wie sein Vater trat er dem Militär bei und machte bald Karriere. So diente er unter dem magister militum Aspar in mehreren Kriegen. Er nahm auch an einer fehlgeschlagenen Operation gegen die Vandalen in Nordafrika teil. Kurz vor seiner Erhebung zum Kaiser, die von Aspar eingefädelt worden war, heiratete er die Schwester seines Vorgängers Theodosius II., Pulcheria, mit der er eine sogenannte Josefsehe führte. Auch wenn Marcianus offenbar unter dem Einfluss Aspars stand, betrieb er dennoch insgesamt eine erfolgreiche Politik und war kein schwacher Kaiser. So verwehrte er den Hunnen unter Attila die jährlichen Tribute, was die Finanzen Ostroms nachhaltig entlastete. 452 ordnete er ein offensives Vorgehen gegen die Hunnen an, was mit zur Niederlage der Hunnen in Italien beitrug. Nach dem Tod Attilas und dem darauffolgenden Zerfall seines Reichs, verständigte er sich mit mehreren Völkerschaften, die vorher unter hunnischer Vorherrschaft gestanden hatten.
Allerdings setzte er nach dem Tod Valentinians III. nicht die römischen Herrschaftsrechte im Westen durch und unternahm auch sonst nichts weiter, um dem Westreich beizustehen (beispielsweise gegenüber den Vandalen). Ob dies zu diesem Zeitpunkt allerdings überhaupt im Bereich des Möglichen gelegen hätte, ist schwer zu entscheiden. Des Weiteren bemühte er sich um gute Beziehungen zum persischen Sassanidenreich. In Ägypten gelang es Marcianus wenigstens zeitweilig, die Grenze gegen die Blemmyer zu sichern. In Syrien kam es zu Kämpfen mit den Sarazenen.
Innenpolitisch konnte der Kaiser das Reich insgesamt stabilisieren. Da es in Marcianus’ Regierungszeit nur zu relativ wenigen Kampfhandlungen kam, entspannte sich die finanzielle Situation des Oströmischen Reiches, wie er überhaupt eine recht erfolgreiche Finanzpolitik betrieb. Auch die Belastungen für hohe kaiserliche Amtsträger, die vorher immense Summen für Spiele ausgeben mussten, wurde reduziert. Er sorgte in der Hauptstadt Konstantinopel für ruhige Verhältnisse. Kirchenpolitisch und historisch höchst relevant war die Verurteilung des Monophysitismus auf dem Konzil von Chalkedon im Jahre 451, das der Kaiser einberufen hatte.
Marcianus galt trotz der Kürze seiner Herrschaft noch sehr lange als einer der erfolgreichsten und besten spätantiken Kaiser. Im Rückblick erschien seine Herrschaft dem byzantinischen Chronisten Theophanes, der sich auf zeitgenössische Quellen stützte, als ein goldenes Zeitalter (Theophanes, A.M. 5946). Hierzu mag beigetragen haben, dass ihn die „orthodoxe“, nicht-monophysitische Kirche wegen seiner Parteinahme in Chalkedon sehr positiv betrachtete.